Zur Blog-Übersicht

Cover Hähnchen mit Pommes von Helene Loev

Nach dem Essen sollst du ruh’n

Hähnchen mit Pommes

Eine Kurzgeschichte von Helene Loev

Er hatte Tage damit verbracht, die Einladung seiner Chefin zum Mittagessen zu überdenken. Die Spannung zwischen ihnen war greifbar, und die Vorstellung, mit ihr an einem Tisch zu sitzen, schien eine Herausforderung zu sein, die er nur widerwillig annahm.

Natürlich waren sie später dran als geplant und so war die Kantine sehr voll. Sie bahnten sich mit ihren Tabletts einen Weg durch die Menge auf der Suche nach einem Tisch, an dem sie einigermaßen ungestört sprechen konnten. Sie passierten das Rondell, grüßten links und rechts Kollegen, die sie flüchtig kannten und steuerten auf einen kleinen Tisch am Fenster zu. Die beiden Herren, die bisher dort gesessen hatten, waren im Begriff aufzustehen. Eine schnelle Prüfung der Umgebung sagte ihm, dass keine Kollegen in der Nähe saßen, die freiwillig oder unfreiwillig an ihrer Konversation teilhaben und umgehend den Flurfunk mit den Neuigkeiten bedienen würden.

„Haben wir doch noch ein Plätzchen gefunden. Ich dachte schon, wir müssten unser Mittagessen im Stehen einnehmen.“, eröffnete er das Gespräch und setzte sich. Das „Guten Appetit“ schob er noch schnell hinterher und widmete er sich direkt seiner Vorspeise. Da er abends Zuhause nie kochte, legte er viel Wert auf das Mittagessen und entschied sich in der Regel auch für ein komplettes Menü. Heute hatte er sich für ein Spargelsüppchen entschieden, gefolgt von einem Steak mit Kroketten und Erbsen. Der Nachtisch war eine Vanillecrème.

Er aß schweigend, wartete darauf, dass seine Chefin das Gespräch eröffnete, während in seinem Kopf Gedanken über die möglichen Themen kreisten. Seine Chefin stocherte lustlos in ihrem Hähnchen herum und starrte auf das Tablett. Kommunikation zählte nicht zu ihren Stärken und so würde sie wohl auch noch eine Weile brauchen, bis ihr der passende Eröffnungssatz über die Lippen kam.

Er hing seinen Gedanken nach. Wenn alles gut ging, waren seine letzten Monate in der Firmenzentrale angebrochen. Er hatte sich auf eine General Manager Position bei einer der ausländischen Töchter beworben und so wie es aussah, schien es zu klappen. Ungebunden, mit fast zehnjähriger Konzern- und mehrjähriger Führungserfahrung, zählte er zu den Top-Talenten, wenn es um zu besetzende Managementpositionen im In- und Ausland ging. Seine bisherigen Versuche, eine breitere Verantwortung zu übernehmen, waren gescheitert. Wahrscheinlich hatte seine Chefin diese vereitelt. Da sie immer noch nichts gesagt hatte, wurde er langsam unruhig. Vielleicht hatte sie auch dieses Mal im Hintergrund die Fäden zu seinen Ungunsten gezogen.

Da vernahm er ihr Räuspern. „Na endlich“, dachte er, vermied es aber, sie anzusehen und widmete sich weiter seinem Steak. Das Räuspern verstärkte sich. Er blickte auf. In dem Moment hob seine Chefin den Kopf und öffnete den Mund. Doch bevor auch nur ein Wort über ihre Lippen kam, wurde sie von einem Hustenanfall überwältigt. Ihre Augen weiteten sich. Sie griff sich an den Hals, kämpfte um Luft und presste die Hand auf den Tisch. Er wollte gerade noch einen Witz über Knöchelchen machen, die sich manchmal in der falschen Röhre verirrten, da fiel ihr Kopf schon auf das Tablett.