Neunzig Minuten

Andreas möchte mit seiner früheren Liebe Hanna nach der Trennung von seiner Frau ein neues Leben beginnen. Doch Hanna kommt bei einem Flugzeugabsturz ums Leben. Andreas ändert sein Leben radikal, kann aber die Trauer um Hanna nicht loslassen. Da empfiehlt ihm seine Tochter Julie, sich von einer Trauerbegleiterin helfen zu lassen. Durch die Arbeit mit ihr findet Andreas den Zugang zu seiner Spiritualität und fängt an zu verstehen, dass im Leben nichts dem Zufall überlassen wird.

Helene Loev

Neunzig Minuten | Leseprobe

Hanna schloss die Augen. Wie würde es sein, Andreas nach mehr als zwanzig Jahren wiederzutreffen? Das Leben hatte Andreas verändert. Es wirkte, als hätte ihn die Scheidung mehr zu sich gebracht. Das gefiel Hanna. Auch hatten ihre Gespräche schnell wieder die Tiefe erreicht, die Hanna schon damals so schätzte. 

Das Flugzeug hob ab. Hanna wurde in den Sitz gedrückt. Auch wenn es nur vier Wochen Urlaub waren, sie hatte das Gefühl, als ließe sie ihr Leben hinter sich. Vielleicht war es das auch. Schließlich überlegten sie zusammenzuziehen. Ob Andreas Gefallen an Frankreich fand, würde sich rausstellen. Sein Französisch war mager. Aber er reiste gern und war generell offen anderen Kulturen über. Vielleicht konnte sie ihn für Frankreich begeistern.

Am liebsten würde Hanna irgendwo ans Meer ziehen. Eine Erfahrung, die ihr bisher fremd war. Sie kannte das Leben in Großstädten, Kleinstädten und auf dem Land. Sie kannte das Leben am Meer – aber nur aus Urlauben. ‚Vielleicht ist es die Erholung, die ich dauerhaft in meinem Alltag haben möchte.‘ beendete sie den Gedanken und schaute aus dem Fenster. Die Maschine bahnte sich ihren Weg durch die Wolken.

Der Wecker riss Andreas aus einem traumlosen Schlaf. Er fühlte sich erholt und in Vorfreude auf das Wiedersehen mit Hanna. Noch 90 Minuten.

Andreas schälte sich aus dem Bett und öffnete die Tür zur Dachterrasse. Es schon angenehm warm. Der Himmel war blau – es versprach ein schöner Tag in Paris zu werden. Von der Straße drangen Hupgeräusche zu ihm. Andreas verspürte Kaffeedurst und ging in die Küche. Doch die Suche nach Kaffee blieb erfolglos. So ging er unter die Dusche, zog sich an, griff Handy, Schlüssel und Geldbeutel und verließ die Wohnung. In der Bar an der Ecke trank Andreas einen Espresso und stieg in ein Taxi zum Flughafen.

Noch 60 Minuten.