Helene Loev
Vermächtnis | Leseprobe
Ilse schreckte hoch. Ein Blick nach rechts zeigte ihr, dass der Platz im Bett neben ihr noch leer war. Ilse warf einen Blick auf den Wecker. 1:30 Uhr. Wahrscheinlich war Carl im Büro eingeschlafen. Oder ihm war etwas zugestoßen? Nachdem Carl vor drei Monaten einen Schwächeanfall hatte, sorgte sie sich um ihn. Er feierte nächsten Sommer seinen achtzigsten. Da konnte das Herz schon mal müde werden. Ilse setzte sich auf den Bettrand und suchte mit dem linken Fuß ihren Pantoffel. Endlich fand sie ihn. Sie glitt hinein, stand langsam auf, zog ihren grauen Morgenmantel an und verließ das Schlafzimmer. Der Flur lag im Dunkeln, das Treppenhaus auch. Ilse ging in die Küche und öffnete das Küchenfenster. In Carls Büro brannte noch Licht.
Ilse stieg langsam die knarrende Treppe Stufe für Stufe nach unten. Sie öffnete die Tür und ging quer über den Hof auf das Bürogebäude zu. Wie oft hatte sie diesen nächtlichen Spaziergang schon zu dem funktionalen Gebäude im Stil der siebziger Jahre gemacht. Wenn Carl endlich zur Vernunft kommen und das Unternehmen Hannes übergeben würde. Wie lange lag sie ihm damit schon in den Ohren.
Hannes war talentiert. Und, auch wenn er es nicht zugeben wollte, so war sie davon überzeugt, dass er sein Hobby zum Beruf machen würde. Diese Computerarbeit war doch auf Dauer nichts für ihn. Hannes war kreativ, er liebte das Holz. Warum war Carl nur so stur?